Die Patientenverfügung  – das gehört zu den Dingen, von den man  weiss, dass es eigentlich gut wäre, sich darum zu kümmern – und trotzdem lässt man die Finger davon. Das verstehe ich gut. Es gibt nachvollziehbare Gründe, dem Ausfüllen einer Patientenverfügung  auszuweichen:

  1. Das raubt Lebensfreude. Es ist nicht angenehm, sich vorzustellen, was wäre, wenn man unheilbar krank wird und vor dem Sterben steht.
  2. Das setzt mich unter Druck. Manchmal erwecken Patientenverfügungen den Eindruck , dass man sich keine medizinischen Leistungen wünschen dürfte, weil man dann der Gesellschaft und den Mitmenschen zur Last werden könnte. Es kann ja schon etwas egoistisch wirken, wenn ich in einer Patientenverfügung angebe, auf medizinische Leistungen NICHT verzichten zu wollen.
  3. Das ist zu kompliziert. Es gibt in der Schweiz über 70 verschiedene Varianten von Patientenverfügungen. Manche sind sehr detailliert. Da ist es wirklich nicht einfach, den Durchblick zu behalten und einen guten Weg zu gehen.
  4. Das sollen die Kinder entscheiden.  Es ist doch eigentlich gut, wenn ich nicht selbst alles bestimme, sondern das andern überlasse. Oder nicht?
Wenn man diese Gründe ernst nimmt, kann man aber auch leicht sehen, unter welchen Voraussetzungen eine Patientenverfügung sinnvoll ist

  1. Die Patientenverfügung in einer guten Lebensphase ausfüllen: Die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit kommt sowieso, manchmal früher, manchmal später, manchmal ganz unerwartet, manchmal bahnt es sich an. Es fördert nicht die Lebensfreude, wenn man die Augen vor der eigenen Vergänglichkeit verschliesst. Im Gegenteil: Gerade wer sich mit dem Tod auseinandergesetzt hat, kann dann wieder fröhlich aufatmen und das Leben geniessen.  Martin Luther hat empfohlen, sich mitten im Leben mit dem Tod auseinanderzusetzen – die Patientenverfügung bietet dafür einen guten Anlass. Meine Frau und ich haben es so gemacht, dass wir vor einer grösseren Auslandreise gemeinsam die Patientenverfügung ausgefüllt und unseren Kindern gegeben haben – aber auch wir haben einen Moment und einen äusseren Anlass gebraucht, um uns diesen Fragen zu stellen.
  2. Die Patientenverfügung in Freiheit ausfüllen: Es gibt kein richtig oder falsch – die Patientenverfügung ist kein Test. Also bitte nicht in der Patientenverfügung etwas angeben, womit man innerlich gar nicht einverstanden ist. Also: Auch Mut haben, zu medizinischen Leistungen JA zu sagen. Manchmal hilft hier das Gespräch mit dem Ehepartner oder mit einer anderen nahen Person, um den eigenen Wunsch besser formulieren zu können.
  3. Die Patientenverfügung in einer einfachen Version verwenden: Es reicht aus, wenn eine Patientenverfügung die Grundlinien angibt. Dann muss man sich auch nicht innerlich -zig verschiedene Krankheits- und Sterbeszenarien vorstellen. Wir empfehlen die Kurzversion des Schweizerischen Ärzteverbands. In meiner Patientenverfügung habe ich zudem ganz oben hingeschrieben: "Im Vertrauen darauf, dass mein Leben in Gottes Hand liegt" – damit weiss jeder, der die Patientenverfügung erhält, sofort Bescheid, dass mir der Glaube an Gott wichtig ist und dass das bei Entscheiden, die mit meinem Leben zu tun haben, berücksichtigt werden soll.
  4. Die Patientenverfügung nahestehenden Personen in Kopie weitergeben: Es hilft den Angehörigen, wenn sie Bescheid wissen, dass eine Patientenverfügung vorliegt. Wenn man die Patientenverfügung weitergibt, kann man dabei auch erläutern, weshalb man welche Wünsche hat. Das hilft dann auch bei unvorhersehbaren Fällen den Angehörigen, im Sinne der Betroffenen zu entscheiden.
  5. Die Patientenverfügung nicht hinausschieben. Und deshalb: Auch wenn es unangenehm ist: Es wird nicht besser, wenn man das Ausfüllen hinausschiebt. Vielleicht könnte der nächste Urlaub oder die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr eine super Gelegenheit sein, um endlich zu tun, wovon man weiss, dass es eigentlich gut wäre – und dann kann man befreit und entlastet und mit grosser Freude ins neue Jahr starten und jeden Tag geniessen, den Gott schenkt.
Stefan Schweyer
Professor für Praktische Theologie an der STH Basel.
Mitverfasser des Buchs: "Sterben wir, so sterben wir dem Herrn"