Letztes Jahr durften wir eine an Krebs erkrankte Frau kennenlernen. Sie zog in eine kleine Wohnung in einem unserer Gemeinschaftshäuser, um der Einsamkeit zu entrinnen: sie war Single, pensioniert, lebte in einer netten Wohnung – aber eben allein. Sie wagte den Umzug neben eine junge Familie und blühte sichtlich auf: die kleinen Kinder freuten sich über die erzählten Geschichten, erhielten auf die ungezählten Kinderfragen eine geduldige Antwort und das gemeinsame Essen schmeckte der erkrankten Frau viel besser. Sie lebte auf in ihrem Alltag, freute sich an den neuen Kontakten im Dorf und in der Gemeinschaft.

Dann kam Corona. Die Frau gehörte im höchsten Masse zur Risikogruppe. Die Kontakte mussten drastisch reduziert werden, die Tage wurden wieder lang und einsam. Isolation und Angst zerrten an der zierlichen Person. Wir konnten gänzlich zusehen, wie sie in sich zerbrach und den Kampf gegen ihre Krankheit verlor. Vor kurzem ist sie verstorben.

Das Erlebnis hat uns als Hausgemeinschaften sehr bewegt. Sicher, unsere Mitbewohnerin wäre über kurz oder lang ihrer Krankheit erlegen. Doch der Zusammenhang zwischen der Isolation und ihrem Tod war offensichtlich. Ja, Einsamkeit kann tödlich sein: was vor Corona noch nicht allen bewusst war, wurde plötzlich an einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und vom Tabu befreit: sich einsam zu fühlen war nicht länger peinlich – sondern ein Hauptproblem des Lockdowns. Die Aufbrüche zu mehr Zusammenhalt, zu einem fürsorgenden Miteinander und zu spontaner Hilfsbereitschaft war beeindruckend: „Gärn gscheh“ Basel hatte innert Kürze 15‘000 Mitglieder, die Nachbarn gingen füreinander einkaufen und meine eigenen Kinder berichteten von ihren Erlebnissen mit Menschen, die ihre Hilfe nötig hatten. Die „Caring Community“  – die sorgende Gemeinschaft, die Nachbarschaftshilfe und eine solidarische Schweiz funktionierte fast über Nacht.

Im Sommer kehrte wieder Alltag ein – nicht ganz, aber nahezu. Meine Töchter begannen wieder mit dem Studium. Die aufgebauten Helfer-Beziehungen schliefen ein. Und trotzdem: in unserem Erfahrungsschatz sitzt unauslöschlich dieser erste Corona-Lockdown. Vermutlich werden wir davon noch unseren Enkeln erzählen. Und ja: vielleicht wird eben doch nie wieder alles so wie vorher. In Riehen wurde bereits ein Podiumsgespräch zum Thema „was wir aus dem Lockdown lernen können – das soziale Riehen weiterentwickeln“ organisiert. Die Podiumsteilnehmerinnen waren sich einig: zum Thema Einsamkeit gibt es noch Nachholbedarf, was unser Dorf betrifft. Nützen wir also unsere Erfahrung von Corona! Sprechen wir über die Folgen der Isolation – so wie wir auch über die wirtschaftlichen Folgen von Corona sprechen – und setzen wir uns dafür ein, dass wir vor lauter Individualisierungs-Ideen nicht vergessen, dass der Mensch auf Gemeinschaft angewiesen ist.

Unterdessen sind wir ja bereits wieder in einem "Mini-Lockdown" und können die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown einsetzen.